erschienen Dezember 2012, WIR Magazin

Dieses Jahr wird alles anders

Dieses Jahr wird alles anders! Triumphierend
tippt meine Freundin Kerstin mit dem Zeigefinger auf das Reiseprospekt, das sie
zwischen unserem Kaffeegeschirr platziert hat. Es ist Anfang Dezember und wir
sitzen in unserem Lieblingscafé in der Stadt. Genussvoll beißt Kerstin in ihren
Christstollen. In einer Woche tausche ich das dichte Gedränge im Nieselregen
auf dem Weihnachtsmarkt gegen einen einsamen weißen Sandstrand unter blauem
karibischen Himmel, schwärmt sie. Neidisch betrachte ich die Hochglanzbilder
von Palmen und ewigem Sommer während draußen im Wintergrau die Leute mit großen
Einkaufstaschen vorbei hetzen. Ich kann Kerstin gut verstehen. Es ist Advent
und wie jedes Jahr um diese Zeit bin ich mega gestresst. Dabei sollte es doch
gerade jetzt die besinnlichste aller Jahreszeiten sein. Wo ist sie nur, die fröhliche
Vorfreude auf das große Fest? Wo das gemütliche Zusammensein bei Kerzenlicht,
das Innehalten und Zu-sich-selbst-finden am Ende eines langen bewegten Jahres? Stattdessen
wächst täglich die Panik in mir ob ich auch alles rechtzeitig geregelt bekomme:
die Geschenke, das Plätzchen backen, den Hausputz. Und überall gibt es
Weihnachtsfeiern, Weihnachtsfeste, Weihnachtsumtrunke, in der Schule, im Hort,
bei den Kollegen, im Verein. Jeder drängelt sich noch schnell in meinen
überfüllten Terminkalender und raubt mir die sowieso schon knappe Zeit. Seit
langem habe ich das Gefühl, der Advent ist zum hektischen Countdown verkommen.
Am liebsten würde ich mit Kerstin die Koffer packen. Im Stillen überlege ich
mir, wen und was ich bei meiner gelungen Weihnachtsflucht dabei haben müsste. Natürlich
meine Familie. Und auch einige Freunde. Das Adventskonzert in der Schule meiner
Tochter (wie jedes Jahr). Die Weihnachtskarten, die mit der Post kommen (wie
jedes Jahr). Die liebevoll mit Licht dekorierten Häuser in der Nachbarschaft (wie
jedes Jahr). Die Festlichkeit, die mich jedes Jahr aufs Neue überrascht, wenn
wir am Heiligabend in die bis zum letzten Platz gefüllte Kirche treten. Das von
Kindern gespielte Krippenspiel. Und - endlich - der Augenblick, wenn meine
Tochter mit leuchtenden Augen vor dem Weihnachtsbaum steht.

Das alles zusammen passt in keinen
Koffer dieser Welt. Und die Wahrheit ist, ich möchte auf nichts davon
verzichten. Ich liebe Weihnachten so wie es ist - so wie jedes Jahr.

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© Britta Röder

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